Das Recht im Umgang mit modernen Familien

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Wie groß ist die Diskrepanz zwischen Recht und gesellschaftlicher Realität? 

von Anna Isfort

Das deutsche Familienrecht und die familienrechtlich geprägten Bereiche anderer Rechtsgebiete haben sich in den letzten 120 Jahren stark gewandelt. In der ursprünglichen Fassung des BGB von 1900 wurde noch zwischen der väterlichen und der mütterlichen Gewalt unterschieden, wobei letztere der väterlichen stets untergeordnet war. 2020 sprechen wir nicht mehr von Gewalt, sondern von Sorgerecht. Dieses teilen sich beide Eltern. Beide Elternteile können das gleiche Geschlecht haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich zusammen mit der Gesellschaft weiterentwickelt. So ist es nicht unüblich, dass Kinder in Patchworkfamilien aufwachsen, bei alleinerziehenden Elternteilen, bei gleichgeschlechtlichen Eltern oder in Haushalten, in denen die Mutter mehr verdient als der Vater.  

Aber entspricht das deutsche Recht tatsächlich dem Familienleben in diesem Land oder ist es entgegen der Realität von christlich-konservativen Vorstellungen und patriarchalischem Gedankengut geprägt? Wie groß ist die Diskrepanz zwischen Recht und gesellschaftlicher Realität?  

Sind Mütter die besseren Eltern?  

Rein biologisch bringen Frauen die Kinder zu Welt und stillen sie. Das allein kann Frauen aber nicht zu „besseren“ Eltern machen; das allein gibt ihnen keinen Anspruch, für das Kind zu sorgen und im Zweifel allein über dessen Wohlergehen zu entscheiden. Ein viel diskutiertes Thema im Zusammenhang mit dem Sorgerecht bei Scheidungen ist das so genannte Wechselmodell. Statt jedes zweite Wochenende und jeden Mittwochnachmittag den Vater zu besuchen und sonst bei der Mutter zu leben, ist das Kind erst sieben bis 14 Tage bei dem einen und dann bei dem anderen Elternteil. Das Wechselmodell ist Ausdruck der 2015 erlassenen Resolution des Europarats zum Abbau der Diskriminierung von Vätern und wird in vielen europäischen Ländern umgesetzt. Auch in Deutschland ist das Wechselmodell möglich und kann sogar gesetzlich angeordnet werden.  

Durch das Wechselmodell muss das Kind regelmäßig umziehen, sich alle sieben bis 14 auf ein neues Zimmer, eine neue Umgebung einstellen. Ein Leben, das mit nicht zu vernachlässigenden Unruhen einhergeht. Auf der anderen Seite bietet dies dem Kind die Möglichkeit, tatsächlich durch beide Elternteile großgezogen zu werden, bei beiden zuhause zu sein, mit beiden Alltagsprobleme zu durchleben und somit verschiedenen Einflüssen ausgesetzt zu sein. Außerdem ermöglicht es beiden Elternteilen, ihre Rolle als Eltern wahrzunehmen und das Kind in seiner Entwicklung zu unterstützen. Dies ist für die Entwicklung und das Wohlergehen aller Beteiligten grundsätzlich erstrebenswert. Die Einschätzung greift selbstverständlich nur unter der Annahme, dass beide Eltern physisch und psychisch in der Lage sind, im Sinne des Kindeswohls für ihr Kind zu sorgen.    

In Deutschland bleibt dennoch die Zweifelsregelung, dass das Sorgerecht der Mutter zugesprochen wird, bestehen: „im Übrigen trägt die Mutter die elterliche Sorge“.  Das Gesetz sieht nicht vor, dass getrenntlebende Eltern gemeinsam und zu gleichen Teilen für ihr Kind sorgen. Dies wird daran deutlich, dass Kinder nur an einem Wohnsitz gemeldet sein können und dass Kindergeld nur einheitlich ausgezahlt werden kann. Wird der Mutter das alleinige Sorgerecht für das Kind zugesprochen, schließt das einen Kontakt zum Vater zwar nicht aus, es verhindert aber, dass er in seiner Funktion als Elternteil für das Kind sorgen kann. In Deutschland sind Mütter, wenn man so will, also immer noch die besseren Eltern.  

Sind HeteroPaare die besseren Eltern?  

Seit 2017 können homosexuelle Paare in Deutschland heiraten. Mittlerweile dürfen sie auch gemeinsam Kinder adoptieren. Dadurch gewinnt man zunächst den Eindruck, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in allen Punkten behandelt wird wie die Ehe zwischen Mann und Frau und dass auch das Recht zur Kindererziehung unterschiedslos besteht.  

Betrachtet man den Gesetzeswortlaut, sind gleichgeschlechtliche Paare aber noch weit von der Gleichstellung zu heterosexuellen Paaren entfernt. Der Gesetzeswortlaut spricht an vielen Stellen noch von „Mutter und Vater“, was suggeriert, dass jedes Kind auch rechtlich zwei verschieden geschlechtliche Elternteile haben sollte. „Hetero“-Paare sind nicht die besseren Eltern, dies sollte sich auch im Gesetzeswortlaut wiederspiegeln. 

Aufgrund des Verbots der Leihmutterschaft können homosexuelle Paare allerdings hierzulande keine leiblichen Kinder bekommen. Dahinter steht ein sinnvoller Grundgedanke: Der Schutz der Leihmutter. Die körperlichen und psychischen Belastungen einer Schwangerschaft sollen nicht leichtfertig und aus kommerziellen Gründen hingenommen werden. Hinzu kommen die Folgen, die die Trennung von dem Kind nach der Schwangerschaft auf die psychische Gesundheit der Leihmutter haben können, und der Umstand, dass durch eine kommerzielle Leihmutterschaft soziale Notlagen zur Ausbeutung mittelloser Frauen führen können.  

Allerdings können jene Kinder, die im Ausland durch eine Leihmutter zur Welt gebracht werden, in Deutschland durch das auftraggebende Paar adoptiert werden. Dies animiert Paare oftmals dazu, im Ausland eine Leihmutter zu engagieren. Nicht selten wird ein Land ausgewählt, wo die gesetzliche Lage sehr ungünstig für Leihmütter ist und die sozialen Notlagen der Frauen ausgenutzt werden können. Die Frage ist also: Geht es wirklich darum, Frauen vor den negativen Folgen einer Leihmutterschaft zu schützen? Oder wird dadurch in Deutschland nur der Schein einer Welt gewahrt, in der mittellose Frauen nicht ausgenutzt werden, während tatsächlich nur diejenigen Paare Eltern werden sollen, die dies auf natürlichem Wege können? Würde man wirklich die Leihmütter schützen wollen, wäre es sicher zielführender, Leihmutterschaft in Deutschland zu erlauben, aber an sehr strenge Voraussetzungen zu knüpfen. So würden homosexuelle Paare die Möglichkeit haben, ein leibliches Kind zu bekommen, während gleichzeitig der systematischen Ausbeutung mittelloser Frauen durch die Leihmutterschaftsindustrie entgegengewirkt würde.  

Ehegattensplitting – Ein Relikt der Vergangenheit? 

Ein weiteres Relikt der Vergangenheit ist das Ehegattensplitting. Beim Ehegattensplitting handelt es sich um eine besondere Besteuerungsform für verheiratete Paare in Deutschland. Hierbei wird nicht jede/r Ehegatte/in in eine individuelle Steuerklasse eingeteilt, vielmehr wird eine gemeinsame Steuerklasse errechnet. Das zu versteuernde Vermögen wird ermittelt und dann „gesplittet“; für diesen Betrag wird der Einkommensteuertarif berechnet, die errechnete Einkommensteuer wird verdoppelt. Dieses Modell schafft Steuervorteile für verheiratete Paare, die ein unterschiedliches Einkommen haben.  

Warum ist dieses Modell ein Relikt der Vergangenheit? Es geht von zwei veralteten Standpunkten aus: Zum einen, dass es besser sei, wenn Frauen – die leider in Deutschland immer noch im Schnitt 21 Prozent weniger verdienen als ihre Männer und 54,2 Prozent mehr Zeit in die Kinderbetreuung investieren – zuhause blieben. Zum anderen, dass nur Ehen erstrebenswerte Beziehungsmodelle seien. Wenig überraschend, kann beides nicht überzeugen.  

Sollten Frauen besser zuhause bleiben?  

Am Ehegattensplitting wird schon lange kritisiert, es würde der Gleichstellung von Männern und Frauen im Wege stehen. Durch die gemeinsame Besteuerung können verheiratete Paare bis zu 15.000 Euro jährlich sparen. Der ersparte Betrag erhöht sich, je besser insgesamt verdient wird und je weiter die Einkommen auseinander liegen. Dies führt dazu, dass das Elternteil, welches einige Zeit zuhause mit der Kinderbetreuung beschäftigt war, bei einem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt mitunter ähnlich viel verdient, wie durch das Fernbleiben vom Arbeitsmarkt steuerlich erspart wurde. Wenn man bedenkt, dass in einer solchen Situation auch die Kinderbetreuung finanziert werden muss, lohnt sich ein Wiedereinstieg lange finanziell kaum. Das Ehegattensplitting hält also Mütter zuhause. Dies erscheint nicht nur volkswirtschaftlich wenig sinnvoll, sondern widerspricht auch dem verfassungsrechtlichen Gebot, auf die Gleichstellung von Männern und Frauen hinzuwirken. Dennoch wird dieses System seit 1958 in Deutschland gelebt. Wahrscheinlich müssen wir auf die erste Finanzministerin warten, damit das Ehegattensplitting endlich reformiert wird.  

Sind Ehen die besseren Beziehungen?  

Die steuerlichen Vorteile einer Ehe können bis zu 15.000 Euro jährlich ausmachen. Die Steuerentlastung für unverheiratete Eltern beträgt nur 600 Euro jährlich. Es stellt sich also die Frage: Warum verzichtet der Staat auf Steuergelder, weil ein Paar ein bestimmtes Beziehungsmodell gewählt hat? Es ist nicht ersichtlich, welchen Vorteil der Staat oder die Gesellschaft dadurch hat, dass besonders viele Ehen geschlossen werden. Dennoch versucht der Gesetzgeber durch steuerliche Vorteile dem Volk dieses Beziehungsmodell aufzudrängen. Es scheint, als hätte nun, da mit Inkrafttreten des Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung 1919 die Staatsreligion abgeschafft wurde, der Staat die Aufgabe übernommen, ein religiös geprägtes Beziehungsmodell auf Kosten der Solidargemeinschaft zu fördern.  

Es leuchtet ein, Eltern steuerliche Vorteile zu verschaffen. Die Gesellschaft profitiert von Kindern. Es erscheint also fair, der zusätzlichen finanziellen Belastung, die mit der Kindererziehung einher geht, durch Steuervorteile entgegenzuwirken.   

Trotzdem werden Ehen steuerlich 25-mal mehr gefördert als Kinder. Der Gesetzgeber scheint also davon auszugehen, dass Ehen die „besseren“ Beziehungen sind.  

Recht der Stiefeltern 

2010 sind 10,9 Prozent aller Kinder in Deutschland mit Stiefeltern aufgewachsen. Dazu zählen noch nicht jene Kinder, die bei einem Elternteil und dessen nicht-ehelichen/r Lebensgefährten/in leben. Diese Kinder wachsen mit einer Person auf, von der sie nicht biologisch abstammen, die sie möglicherweise nicht seit ihrer Geburt kennen, zu der sie aber eine ähnlich wichtige und emotionale Beziehung entwickeln können, wie zu ihren leiblichen Eltern. Endet die Beziehung zwischen einem leiblichen und einem Stiefelternteil, kann seit 1998 zum Kindeswohl ein Umgangsrecht eingeräumt werden. Stiefeltern steht darüber hinaus auch schon während der Beziehung unter Umständen ein so genanntes „kleines Sorgerecht“ zu. 

Hier hat sich das Recht der Realität der Stiefeltern angepasst. Eine Entwicklung, die leider an vielen anderen Stellen im deutschen Familienrecht noch fehlt. 

Fazit  

Das deutsche Familienrecht hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und der Realität angepasst. Aber es muss mehr passieren. Leider sind viele Aspekte des Rechts noch von einem konservativen Familienbild geprägt, das noch davon ausgeht, ein Kind wachse bei Mutter und Vater auf: Der Vater verdient – wie es sich gehört – das Geld, während die Mutter sich – wie traditionell üblich – um Kind und Haushalt kümmert. Dies soll ihr dann aber auch selbstverständlich im Falle einer Trennung das Recht geben, allein für das Kind zu sorgen. Dass die klassische Rollenverteilung sich heutzutage aber auch gedreht haben kann oder manche Familienmodelle in keines der vorgegebenen Schemata passen, bleibt leider oft außen vor. 

Daran muss sich etwas ändern. Wir müssen auch auf gesetzlicher Ebene gleichgeschlechtliche Eltern, arbeitende Mütter, alleinerziehende Väter und all diejenigen unterstützen, die in einer modernen Familie leben, damit die deutliche Diskrepanz zwischen Recht und gesellschaftlicher Realität verschwindet.