Geld hat man zu haben. Das gilt nicht nur im Schuldrecht, sondern ist derzeit noch das Ausbildungsleitbild im Rechtsreferendariat. Für unseren Rechtstaat ist das ein Armutszeugnis.
Derzeit erhalten die angehenden Hamburger Volljuristen eine sogenannte Unterhaltsbeihilfe in Höhe von 1.243,07 Euro – Brutto versteht sich. Was nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben übrigbleibt, liegt irgendwo zwischen Existenzminimum und Armutsgefährdungsschwelle.
Ein Überleben ist nur mit Nebeneinkünften möglich. Erst recht in unserer Stadt. Im Ländervergleich trägt Hamburg die unrühmliche rote Laterne. Ohne Zweitjob stünde ich am Monatsdritten kurz vor der Privatinsolvenz. Aus eigener Kraft den Bildungsaufstieg zu schaffen? Kaum möglich. Wer gegen die Armut arbeitet, wird unter der Last einer Aufstiegsabgabe, der sogenannten Zuverdienstgrenze, erdrückt. Für jeden Euro, der den Betrag von 587,63 Euro übersteigt, werden 50 Cent der Beihilfe gekürzt. Viel übrig bleibt da nicht. Wer in einer Kanzlei aufstockt und rund 800 Euro verdient, steht am Ende des Monats insgesamt mit knapp 1.350 Euro netto dar. Den Stundenlohn will man besser nicht ausrechnen. Zu ernüchternd ist das Ergebnis. Schon ohne Kürzung liegt er mit knapp 7 Euro deutlich unterhalb des Mindestlohns. Das ist zu wenig. Das bestreitet niemand. Die Lage ist allen Verantwortlichen bewusst. Doch warum ändert sich seit Jahren nichts? Wieso zahlt die Stadt Löhne, für die sich selbst Jeff Bezos schämen würde?
Drei Argumente werden uns entgegengehalten.
Erstens: Die Leute kommen trotzdem – Hamburg habe eine lange Warteliste. Doch damit wird die Unterhaltsbeihilfe zum Sozialfilter. Den Vorbereitungsdienst in unserer Hansestadt anzutreten, hängt immer stärker vom Geldbeutel ab.
Die vermeintliche Leistungsliste schließt so viele kluge Köpfe aus. Doch auch abseits dieser Sozialkritik sieht die Warteliste nicht rosig aus. Die Zahlen sind stark rückläufig. Früher standen noch zwischen 450 und 600 junge Menschen auf der Warteliste und warteten darauf ihren Vorbereitungsdienst am Hanseatischen Oberlandesgericht anzutreten. Heute umfasst besagte Liste – trotz Platzkürzung – nur 378 Einträge.
Zweitens: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Doch eine klassische Ausbildung ist der Vorbereitungsdienst nicht. Das Erste Staatsexamen entspricht im europäischen Qualifikationsrahmen der Stufe 7 von 8. Auszubildende befinden sich zu Beginn ansonsten auf der Stufe 2 oder 3. Im Referendariat warten viele zusätzliche Kosten. Wo sonst wird verlangt, den eigenen Laptop mitzubringen? Wo sonst setzen sich Auszubildende so viele Wochenenden in teure Kurse, die sie selbst zahlen? Der Hungerlohn reicht dafür nicht mehr aus. Er reicht oftmals noch nicht einmal für die Warmmiete. Doch wer Robe trägt, darf verlangen, nicht auf Wohngeld angewiesen zu sein. Das hat nichts mit überzogenen Gehaltsvorstellungen zu tun, sondern ist sozialstaatliches Minimum.
können sich das nur jene, die – zu Lasten der eigenen Ausbildung – nebenher massig Geld verdienen und aufgrund der Anrechnungsregelung auf große Teile der Unterhaltsbeihilfe verzichten oder die, die etwa durch das Elternhaus unterstützt
Wirklich leisten
werden.
Drittens: In Hamburg gibt es gute Hinzuverdienstmöglichkeiten. Diese befreien den Staat aber nicht von einer fairen Vergütung. Zugleich verhält sich die Stadt in dieser Hinsicht widersprüchlich. Mit der Zuverdienstgrenze soll gerade verhindert werden, dass wir uns nach einem Nebenjob umsehen. Zweck der Grenze ist, dass wir uns stärker auf die Ausbildung konzentrieren. Das ist zweifelhaft. Gerade die rabiate Anrechnung führt doch erst dazu, dass es notwendig ist, noch mehr und nebenbei zu arbeiten.
Sofern es nicht zeitnah zu einer grundlegenden Reform kommt, ist die Chancengleichheit in der juristischen Ausbildung eine Phrase, hinter der sich extreme Ungleichheit tarnt.
Die schlechte Bezahlung kann sich die Justiz nicht leisten. Die Bewerberlage wird auch in Hamburg immer schlechter. Mit dem Spardiktat verschenkt die Stadt einen wertvollen Schatz: Ihr Ausbildungsprivileg. Während in der Anwaltsstation die Kanzleien mit immer verlockenderen Angeboten versuchen die Leute auch nach dem Examen an sich zu binden, vergibt der Staat mit der juristischen Ausbildung im Sparmodus die Chance, hervorragende Juristinnen und Juristen an die Hansestadt zu binden. Die Unterhaltsbeihilfe ist eine zwei Jahre andauernde Dauerantiwerbesendung gegen den Staatsdienst. Der Imageschaden, den diese Regelung verursacht, übersteigt bei weiten die Kosten einer fairen Vergütung.
Die Ungerechtigkeit wurde auch lange ertragen. Es sind nur zwei Jahre. Die seien schnell vorbei. Einen Zustand, der sich vermeintlich nicht ändern lasse. Doch zunehmend stieg der Unmut. Die Energie- und Lebenskostenexplosion brachte schließlich das Fass zum Überlaufen. Im Dezember kanalisierte sich die Unzufriedenheit auf die Straße. Lautstark protestierten wir für eine faire statt prekäre Unterhaltsbeihilfe. Mit über 250 Juristen zogen wir vom OLG vor die Justizbehörde. Die Versammlung vom 08. Dezember zählt damit zu den größten Protesten von Juristinnen und Juristen der Bundesrepublik. Der Unmut, der sich an dem Abend vor dem Justizforum entlud, war so enorm, dass selbst die blinde Justitia die Ungerechtigkeit nicht länger übersehen konnte.
Der Protest vor der Justizbehörde erzeugte ein Momentum, das half die Stimmung zu drehen. Die anschließenden Gespräche nährten Hoffnungen. Fast so, als ob sich nicht mehr die Frage stellt ob, sondern nur noch wann die prekäre Bezahlung der Vergangenheit angehört. Der Kampf für eine faire Bezahlung ist aber erst mit Verabschiedung der Reform beendet. Der Weg bis dahin kann noch steinig werden. Ob ich selbst noch profitiere? Unklar.
Carl Coste ist Vorsitzender des Personalrats der Rechtsreferendar:innen am Hanseatischen Oberlandesgericht
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