Die Klimabewegung von Morgen

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Aufgrund der Coronakrise findet die Klimabewegung aktuell kaum Erwähnung in den Medien, übliche Aktionsformen sind in der Praxis nicht mehr möglich. Die Klimakrise und der ökologische Kollaps schreiten trotzdem weiter voran. Wie kann es die Klimabewegung schaffen, die entscheidende Zeit nach Corona zu prägen?

von Clara S. Thompson, Universität Leipzig, Aktivistin bei Extinction Rebellion

Das Jahr 2019 war der Beginn einer neuen Ära von Klimaprotesten. Mit Fridays for Future, Extinction Rebellion und vielen anderen traten neue Gruppen in den Radar der allgemeinen Öffentlichkeit und sorgten mit ihren Aktionen für Aufsehen. Anstatt freitags in die Schule zu gehen wurde gestreikt. An Stelle von Autos besetzten Menschen die Straßen, und hielten offene Versammlungen mitten in der Stadt ab (siehe auch den Artikel über Bürger:innenversammlungen in der letzten Ausgabe). Tausende fanden sich plötzlich auf der Straße wieder und setzten sich gemeinsam für den Strukturwandel ein, von dem viele wissen, dass er schon lange überfällig ist.  

Aber 2019 ist auch ein Jahr, mit dessen politischen Ergebnissen wir uns lange nicht zufriedengeben können. Denn nun gibt es ein Klimapaket, das sich eher als “Päckchen” bezeichnen lässt. Die falschen Versprechungen der Regierung werden sichtbar: Das Kohlekraftwerk Datteln 4 soll eingeschaltet werden. Der sogenannte “European Green Deal” wird seinem Namen nicht gerecht und lässt sich eher als Ablenkungsmanöver der EU bezeichnen. Und aufgrund des Ausbruchs von COVID-19 sind vorläufig keine physischen Großaktionen mehr möglich – was Aktivist:innen natürlich nicht davon abgehalten hat im Internet kreativ zu werden und oft ganz zufällig ein Plakat in der Warteschlange beim Bäcker dabeizuhaben.  

Aber die Tatsache bleibt: Die Berichterstattung über die Klimabewegung hat seit dem Ausbruch des COVID-19 Virus erheblich abgenommen. Sogar bereits vor dem Ausbruch des Virus zeichnete sich ab, dass das Interesse der Medien für die Aktionen langsam nachließ. Aber warum ist die Berichterstattung für soziale Bewegungen überhaupt so wichtig?  

“Eine Bewegung über die nicht berichtet wird, findet nicht statt” (Joachim Raschke, 1985)  

Als “Immunsystem” der Gesellschaft macht eine soziale Bewegung auf Probleme aufmerksam, die Wirtschaft und Politik selbst nicht erkennen können oder wollen. Ihre Ziele kann sie nicht direkt erreichen, sondern nur indem sie öffentliche Aufmerksamkeit erregt und damit die Bevölkerung beeinflusst. Obwohl ihr Anliegen und Narrativ auch durch soziale Medien veröffentlicht wird, versprechen diese nicht die gleiche Reichweite wie Massenmedien. Nein, Aktivist:innen müssen ihre  

Themen in die Massenmedien bringen, denn diese sind aktive Mitgestalter der Erzählung über die Klimakrise. Sie bestimmen, welche Geschichten sich durchsetzen und beeinflussen dadurch die Meinung von Medienrezipient:innen. Diese können dann als Wähler:innen, Konsument:innen oder Unterstützer:innen entsprechende Reaktionen in der Politik und Wirtschaft hervorrufen.  

Es ist aber nicht leicht, Kritik an Gesellschaftsformen in die Medien zu bringen, in welchen Klimaaktivist:innen die Ursachen der Klimakrise sehen – besonders dann nicht, wenn diese Kritik nicht mit dem aktuellen Diskurs kompatibel ist. Da Medien in der Regel auf die Aufmerksamkeit der Rezipient:innen angewiesen sind, berichten sie bevorzugt über Ereignisse, die einen Neuigkeitswert oder sogenannte Nachrichtenwerte enthalten. Nachrichtenwerte sind beispielsweise Konflikte, (bekannte) Personen oder die geografische Nähe eines Ereignisses. So wurde besonders bei Fridays for Future die gewählte Aktionsform der „Schulstreiks“ Brennpunkt der Diskussion, während bei Extinction Rebellion die Legitimität von gewaltfreiem zivilen Ungehorsam als politisches Mittel zur „Verbesserung des Staates“ in den Mittelpunkt rückte. Dass die Klimabewegung seit Anfang 2019 so stark in der Öffentlichkeit vertreten war, zeigt, wie viele Nachrichtenwerte sie mit ihren Aktionen und den dazu gehörigen Erzählungen bedienen konnte: Sie stellte für die Medien eine gefundene Goldgrube dar.  

„Bad News is good News”  

Aber wie negativ darf die Berichterstattung über eine soziale Bewegung sein, damit sie noch erfolgreich sein kann? Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, welchen Einfluss die Art der Berichterstattung auf die Meinungsbildung bei den Rezipient:innen hat. So heißt es: „Bad news is good news, good news is no news, and no news is bad news”. Hier kommt die Tatsache ins Spiel, dass Medien nicht nur bevorzugt über Ereignisse berichten, die einen Nachrichtenwert beinhalten, sondern sich in der Berichterstattung auch meistens auf diese Aspekte konzentrieren. Der SPIEGEL beispielsweise berichtete in der Hälfte aller Artikel über Fridays for Future in den ersten sechs Monaten der Bewegung über die gewählte Aktionsform der Schüler:innen. Die provozierte gesellschaftliche Empörung war also das, was die Berichterstattung in erster Linie katalysierte. Hätten die Jugendlichen brav nach der Schule protestiert, hätte das keine 1,3 Millionen Menschen auf die Straße gebracht.  

Die hohe Berichterstattung über die Besetzung des Hambacher Walds und die Rebellionswoche im Oktober 2019 von Extinction Rebellion zeigt außerdem, dass auch radikalere Aktionsformen durchaus zu einer positiven Berichterstattung führen können. Denn es sind die diesem gewaltfreien zivilen Ungehorsam anheftenden Erzählungen, die entscheiden, ob wir Empathie verspüren oder Ablehnung.  

Die Macht von Erzählungen  

Mit dieser Art von medialer Aufmerksamkeit, die durch aufsehenerregende Aktionen, berührende Geschichten von Menschen, und öffentlich ausgetragenen Debatten erreicht wird, werden Ideen für eine bessere Welt sichtbar und schaffen den Sprung in die Köpfe der Menschen. Um Menschen für unser Anliegen zu mobilisieren, müssen wir mitbestimmen, worüber sie zuhause beim Abendbrot reden und vor allem: wie sie darüber reden. Um den überfälligen nachhaltigen Strukturwandel einzuläuten, sollten wir als Erstes die alte Geschichte mit einer neuen Erzählung ersetzen. Wir müssen den Diskurs verschieben, und ändern, was denk-, sag- und machbar ist!  

In der Geschichte der Menschheit wurden schon tausende Ideen durch neue bessere Ideen ersetzt. So war es vor hundert Jahren noch undenkbar, dass sich Autos als unser Haupttransportmittel durchsetzen. Sie galten als viel zu gefährlich. So ist es möglich, dass sich in weiteren hundert Jahren Menschen im Museum Bilder von unseren Diesel-Autos, Kohlegruben, und Giftmüllhalden angucken, nur um sich dann verächtlich zu denken “Wie unverantwortlich und altmodisch die Menschen damals waren!” und sich ganz gemütlich in den elektrischen SkyTrain zu setzen, der sie über den Häusern der Stadt geräuschlos, kostenlos und sicher in kürzester Zeit an ihr Ziel bringt.  

Corona, ein Game-Changer  

Viele der aufsehenerregenden Aktionen und Erzählungen, die wir uns ursprünglich für 2020 überlegt hatten, können wir aber vorerst ad acta legen. Corona hat für eine Veränderung des medialen, gesellschaftlichen und politischen Resonanzraums gesorgt. Obwohl die Coronakrise kein Krieg im herkömmlichen Sinne ist, traumatisiert sie viele Menschen auf unterschiedlichen Ebenen. Neben dem Virus selbst sind finanzielle Belastungen, häusliche Gewalt, oder tiefe Sorge um die Liebsten für viele Menschen die harte Realität geworden. Auf einmal stehen die Themen, welche die Klimabewegung bisher mit ihren Aktionen und Erzählungen aufgegriffen hat, nicht mehr im Fokus des Geschehens. Stattdessen werden die Nachrichten dominiert von Fallzahlen, Sterberaten, der Fragilität unseres Gesundheitssystems, und der geografischen Ausbreitung des Virus. Weniger prominent dagegen: Die Ungerechtigkeit der marktwirtschaftlichen Verteilung von essentiellen Gütern wie Mundschutzmasken, die klimaschädlichen Investitionspakete zur Rettung der Wirtschaft und der Zusammenhang zwischen unserem Konsumverhalten, der Abholzung des Regenwaldes und Corona.  

In der Zeit nach der ersten Welle des Coronavirus wird in den Medien wieder mehr Platz für andere Themen sein. Dann wird sich die Gesellschaft Gedanken darüber machen, wie sie so schnell wie möglich wieder zur vermeintlichen “Normalität” zurückkommen kann. Sie wird eine Erzählung suchen, die bestimmt, wie wir die Wirtschaft stabilisieren und wie wir weitere Krisen vorbeugen können. Es wird einen „Konkurrenzkampf“ zwischen den Erzählungen geben und eine davon wird sich durchsetzen. Daran müssen wir teilnehmen. Wenn wir es Nichts tun, wird sich eine Erzählung durchsetzen, die wir nicht beeinflusst haben und welche die nächste Krise katalysieren wird.  

Wir brauchen eine neue Erzählung  

Denn wir Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen wissen, dass es keine Normalität und Stabilität geben kann, solange wir nicht alle miteinander verbundenen Krisen, die Coronakrise, die Klimakrise, Umweltzerstörung und der Kollaps der Ökosysteme, in ihren Ursachen, anstatt nur ihren Symptomen bekämpfen. „Social Distancing“, Rettungsschirme und Impfungen sind wichtige kurzfristige Maßnahmen, um die jetzige Krise in den Griff zu bekommen, aber sie reichen nicht aus, um die nächste zu verhindern. Symptombekämpfende Maßnahmen dieser Art sind schön und gut solange nicht die nächste Pandemie in ein paar Jahren ausbricht. Sie werden Fledermäuse auf jeden Fall nicht daran hindern, von ihrem Zuhause im Regenwald auf Sumatra nach Malaysia weiter zu ziehen, nachdem ihr Zuhause von den palmölhungrigen Bulldozern zerstört wurde. Sie werden Fledermäuse nicht davon abhalten plötzlich enger mit Schuppentieren zusammen zu leben, als es von der Natur jemals vorgesehen war. Nichts wird das nächste Virus davor stoppen, begünstigt durch Massentierhaltung, schließlich mit einem Menschen in Kontakt zu kommen, der das Virus von da an weitere Menschen verbreitet. Nein, wahre Stabilität und Normalität kann es nur mit dem Schutz unseres Klimas und unserer Ökosysteme geben.  

Die Erzählung vom Klima, von CO2-Emissionen und Treibhausgasen ist die, welche die Klimabewegung im letzten Jahr am meisten in die Öffentlichkeit gerückt hat. Aber sie ist auch für viele Menschen (noch) abstrakt. Sie bezieht sich auf das Klima, als ob es von unserem Wirtschaftssystem, von unserer Gesundheit und von dem Ausbruch neuartiger Krankheiten isoliert werden kann. Für die Zeit nach der Coronakrise brauchen wir eine Erzählung, die, ironischerweise ähnlich wie Corona, konkret und unmittelbar ist. Eine Erzählung, die beantwortet, wie wir die Gesundheit der Menschen am besten schützen können. Eine Erzählung, welche die direkte Verbindung zwischen der Menschheit und der Natur aufzeigt. Eine Erzählung, die zeigt, dass Klimaschutz kein Luxusproblem ist, sondern der Grundbaustein einer resilienten Gesellschaft. Klima- und Naturschutz ist Gesundheitsschutz.  

Der Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von neuartigen Krankheiten und der Zerstörung unserer Umwelt ist so konkret, dass er, sobald einmal erkannt, nicht mehr zu ignorieren ist. Sobald diese Erzählung von den Massenmedien aufgegriffen wird, werden auch die letzten Zweifler:innen realisieren, dass der Wald, in dem sie seit Jahren spazieren gehen, jedes Jahr mehr Bäume verliert und auch die Vögel immer weniger werden; sie werden merken, wenn der Fluss, in dem sie so gerne schwimmen, immer weiter austrocknet und verschmutzt. Es ist möglich, diese Fürsorge für die Natur auch auf die großen tropischen Regenwälder wie in Indonesien und Brasilien auszubreiten. Aber der größte Vorteil dieser Erzählung ist, dass sie konkrete Handlungsmöglichkeiten enthält. Während der Gedanke an die Klimakrise, so weit weg, abstrakt und komplex sie wirkt, Menschen oft in Resignation oder Leugnung verfallen lässt, knüpft die Erzählung der Ökosysteme und Resilienz unmittelbar an die Lebensrealität der Menschen an: Wir können Bäume pflanzen, Müll sammeln und Biodiversität im Kleinen wiederherstellen. Guerilla gardening, “Platzpark”-, und dezentrale  

Selbstversorgungs-Aktionen sind auch jetzt schon möglich. Wir können mit eigenen Augen sehen, wie sich die Natur erholt und welche positiven Auswirkungen das auf die Artenvielfalt und auf uns selbst hat. Wir können die Veränderung sein und gleichzeitig erleben.  

Die post-Corona Klimabewegung  

Es wird eine Phase geben, in der sich die Medien allmählich weniger auf das Virus fokussieren, sondern mehr auf die Zeit danach. Bereits jetzt beginnen Politik und Groß-Konzerne mit einer einzigen brennenden Frage über Konjunkturmaßnahmen, Rettungsschirme und Kredite zu diskutieren: “Wie können wir bloß wieder Normalität herstellen?”.  

Falsche Frage.  

Nur damit die Automobilindustrie noch ein paar Jahre länger ihre schmutzigen Autos produzieren kann, können wir nicht die Leben tausender Menschen riskieren. Nur damit vorläufige „Normalität“ eintritt, werden wir nicht zum Ausbruch eines neuen Virus beitragen, indem wir weiter den Regenwald zerstören. Nein, in der jetzt beginnenden entscheidenden Phase, in der unsere Welt nach Corona bestimmt wird, werden wir Klimaaktivist:innen von Jobs reden, die uns nicht töten werden. Mit unseren voll von motivierenden, Mut machenden Geschichten und wissenschaftlichen Fakten gefüllten Köpfen werden wir von einem Klimarettungsschirm erzählen, der die resiliente Gesellschaft und unsere Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Wir werden kreative Aktionen durchführen, protestieren und unsere neu gewonnenen digitalen Fähigkeiten einsetzen, um einen Aufschrei zu erzeugen, der die nachhaltigere, gemeinschaftlichere und bessere Welt für alle einläuten wird. Es wird einen Kampf der Erzählungen geben. Unsere wird dabei sein.