Britische Monarchie – überkommenes Relikt oder teures Erbe Andere Zeiten, gleiche Sitten? | Elias Mewe

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Die Debatte, ob die britische Monarchie ein unproduktives, kostspieliges und der Demokratieentfaltung hinderliches Relikt vergangener Tage oder aber ein zu bewahrendes Erbe der Geschichte ist, stellt in Großbritannien dieser Tage nur einen weiteren Schauplatz im anhaltenden Kulturkampf dar. Doch wer hat die Deutungshoheit in der wiederkehrenden Diskussion um eine Abschaffung der britischen Krone?

Immer wieder Streit
“The monarchy is finished. It was finished a while ago, but they’re still making the corpses dance” – so formulierte die bekannte englische Schriftstellerin Sue Townsend vor einiger Zeit ihre Sichtweise auf die Monarchie in England (übersetzt: Die Monarchie ist erledigt. Sie war schon vor einiger Zeit erledigt, und doch lässt sie immer noch die Leichen tanzen).
Was genau Townsend mit ihrem Zitat meinte, ist nicht ganz klar. Welche Leichen lässt die Monarchie noch tanzen? Ist damit gemeint, dass sie ihre derzeitige Stellung auf Glanz und Gloria ihrer vorangegangenen Königinnen und Könige stützt? Oder, bildlicher, stehen die „corpses“ für die britische Bevölkerung, die vom Anblick der Royals unerklärlicherweise noch immer in ekstatischen Tanz versetzt wird?
Wie auch immer das Zitat zu verstehen ist, es zeugt von einem gewissen Zeitgeist: Die britische Monarchie habe ihren Zweck, ihre wesensgemäße Bestimmung verloren. Und damit gleichzeitig ihre Daseinsberechtigung. Schon länger, seit Entstehen einer modernen demokratischen Gesellschaft in Großbritannien, streitet das Land über seine Krone. Die Trennlinie zwischen Befürwortern und Gegnern verläuft scharf, und die Debatte hat eine weniger rational-faktische als vielmehr sentimental-gefühlte Stoßrichtung.

Der Monarch als Integrationsfigur

Die Argumente für die Abschaffung der britischen Monarchie sind schnell erzählt und vermutlich recht naheliegend. Eine Monarchie sei zuvörderst ein anachronistisches, zutiefst unzeitgemäßes Konstrukt, das sich mit dem Leitbild einer dynamischen, modernen und zukunftsgerichteten Demokratie nicht in Einklang bringen lasse; zudem sei die Monarchie teuer, sie verbrate laufend immer mehr Steuergelder; dabei hafte ihr auch noch der Makel von immer wiederkehren Skandalen und Fehlverhalten ihrer Mitglieder an – Stichworte: Harry und Meghan, Prinz Andrew, Princess Diana. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Und jedes der Argumente hat seine Berechtigung. „Republic“ etwa, eine Vereinigung, die sich für eine Republik ohne monarchisches Staatsoberhaupt einsetzt, weist zurecht darauf hin, dass eine Erbmonarchie, in der das Staatsoberhaupt nicht gewählt, sondern eben durch Geburt bestimmt wird, mit jeglichen demokratischen Prinzipien nicht vereinbar sei.

Das ist zwar richtig. Gleichzeitig darf aber nicht verkannt werden, welche Rolle dem Monarchen im politischen Machtgefüge Großbritanniens zukommt. Nämlich kaum eine. König Charles III. ist Head of State, er hat den Premierminister zu ernennen und Orden zu verleihen; weiterhin gelten viele Gesetze von strafrechtlichen Tatbeständen bis zu Verfahren beim Steuereinzug für ihn nicht. Wirkliche Befugnisse sind damit jedoch nicht verbunden. Der König könnte zwar seine Zustimmung zu Gesetzen

verweigern – das ist aber seit 1708 nicht mehr passiert. Er könnte anderen Staaten den Krieg erklären – und wird es dennoch niemals tun. Die Divergenz zwischen verfassungsrechtlicher Möglichkeit und realpolitischer Wirklichkeit nimmt dem Monarchen jegliches Machtmissbrauchspotenzial.

Vielmehr kommt ihm eine andere Rolle zu, die mindestens ebenso wichtig ist: Der Monarch ist Repräsentant der Ordnung, des politischen Systems. Niemand verkörperte britische Tugenden und Werte wohl besser als die legendäre Elizabeth II. Zwar geriet das Land auch während ihrer Thronzeit immer wieder ins Wanken. Doch in allen innenpolitischen Querelen, in allen soziokulturell grundierten Streitigkeiten stand dem Land immer noch eine Königin vor, der gerade mit zunehmendem Alter Bewunderung aus dem In- und Ausland zukam und die gerade dadurch gewissermaßen über dem politischen Tagesgeschäft stand. Klar, Elizabeth II. ist nicht die Monarchie, wenige glänzten so schillernd wie sie. Und dennoch war sie ein Beispiel für die Möglichkeiten, die die britische Monarchie noch im 21. Jahrhundert hat, ihre Relevanz zu behaupten: nicht mehr durch aktive Gestaltung der Politik, sondern als Integrationsangebot für die gesamte und immer heterogener werdende britische Gesellschaft. Als Symbol der Einheit in einer immer vielfältigeren Gesellschaft. Als Minimalkonsens, auf den sich alle Bürger auch in schwierigen Zeiten einigen können. Denn fast jeder Brite hat bekanntlich eine Meinung zur Krone und ist grob darüber im Bilde, welcher Royal wieder dies und jenes angestellt, welches Missgeschick er sich geleistet oder welchen Schicksalsschlag er gemeistert habe. Die britische Mentalität ist diesbezüglich eine andere als die deutsche, was sich nicht zuletzt in den immer noch hohen Zustimmungswerten – nach einigen Schätzungen bei etwa 60 %, nach anderen deutlich höher– ausdrückt. Mit einem international bekannten Königtum und einer bis zuletzt hochgeschätzten Königin an ihrer Spitze hatten die Briten den Kontinentaleuropäern, dabei naturgemäß auch den Wirtschaftswunder-Deutschen, stets etwas voraus. So etwas verbindet, und das muss es in einer zunehmend ungleichen Gesellschaft auch.

Und vielleicht ist ebendies die neue staatstragende Rolle der Monarchie: eine Projektionsfläche für Zustimmung und Kritik, Jubel und Ablehnung und in ihrer Einzigartigkeit ein Symbol für den beständigen Charakter dieses Landes zu sein. Dass eine solche unumstrittene Überparteilichkeit einem gewählten britischen Staatsoberhaupt – ohne fast tausendjährige Familiengeschichte und überparteilichen Zuspruch und Anerkennung– geschenkt sein würde, ist höchst fraglich.

Der Wert der Erzählung

Das Vereinigte Königreich hat ewigen Bestand, es ist ein kerngesundes Land – würde man gerne sagen. Dem ist leider nicht so. Das große Empire, einst Herr von mehr als einem Viertel der Erde, Seemacht und unbestrittene Nummer Eins unter den Industrienationen, droht der zügige Abstieg in die B-Liga der internationalen Großmächte. Ende Januar streikten eine halbe Million Menschen für höhere Löhne und legten das Land mitsamt der hilflos agierenden Regierung in Teilen lahm. Grundsätzlich scheint Großbritannien immer tiefer in eine Rezession zu rutschen, maroder National Health Service -das staatliche Gesundheitssystem des Vereinigten Königreichs- und erheblicher Fachkräftemangel inklusive. Die Gräben zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, progressiv und konservativ werden immer tiefer. Auch politisch hat man sich mit dem Brexit einen signifikanten internationalen Bedeutungsverlust zugefügt. Und vor dem 45-Tage Interregnum der Liz Truss sorgte ja noch

Premierminister Johnson mit geschäftsmäßiger Verlässlichkeit für die neuesten Schlagzeilen und politischen Skandale – ob Partygate, sexuelle Belästigungen politischer Mitstreiter und Spendenaffäre.
Dies ist nur ein Auszug der derzeitigen Situation des Landes. Es wirkt nicht so, als sei Großbritannien im bestmöglichen aller Zustände. Kann die Monarchie dagegen helfen? Nicht direkt zumindest. Wirtschaftliche Probleme wird sie nicht bewältigen, politische Wunden nicht heilen und auch den gordischen Knoten des politischen Bedeutungsverlusts der letzten Zeit nicht lösen können. Der wahre Wert der Monarchie liegt jedoch vielmehr im Wert der Erzählung.

Das Leben besteht aus Narrativen. Im Mikrokosmos des Einzelnen erzählt sich jeder Mensch fortwährend eine Geschichte, die von sich selbst handelt. Wer bin ich? Woher komme ich? Wo will ich hin? Nichts anderes gilt im Makrokosmos. Großbritannien zieht sein nationales Selbstverständnis aus seiner einzigartigen und in der Tat weltbewegenden Geschichte. Ohne diese Geschichte, ohne das glanzvolle historische Erbe der Briten wäre das Land wohl wenig mehr als eine sich selbst zunehmend isolierende Insel am Rande Europas, die vergeblich ihre eigene Sinnerzählung sucht. Die Monarchie abzuschaffen, bedeutet jedoch den Abschied von genau diesem Narrativ. Die Krone ist die Verkörperung ebenjener britischen Einzigartigkeitserzählung, der offensichtlichste Beweis, dass man mehr als nur „irgendein“ europäischer Staat ist, sondern sich in Tradition und historischer Kontinuität abhebt von anderen westlichen Vorreiternationen wie den USA, Frankreich und Deutschland. Sollte man den Vorschlag, die Monarchie abzuschaffen, also tatsächlich ernsthaft in Betracht ziehen, so ist die Konsequenz einer solchen Umorientierung mitzudenken. Was ist Großbritannien ohne die Monarchie? Was zeichnet es aus, was macht es besonders? Wie geht das Narrativ weiter? Welche Ersatzerzählung man sich auch ersinnen mag – keine schüfe auch nur ansatzweise der Identitätskrise Abhilfe, die Großbritannien sich eigenverantwortlich zufügte.

It ́s the economy…

Vieles in der Monarchie-Debatte wurzelt in Gefühlen, und solche Gefühle sind nur schwer nachvollziehbar, noch schwerer objektivierbar und für einen Nicht-Briten schwer darstellbar. Nichtsdestotrotz, die Briten scheinen stolz zu sein auf ihr Königtum, ihre „Perle der Nation“, und das gerade in Zeiten, die weniger Grund zum Jubel bieten als die imposante imperiale Vergangenheit. Ein Aspekt ist wohl recht einfach zu erkennen: der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Wie kann es sein, dass die Royals, gut versorgt und den alltäglichen materiellen Sorgen des Normalbürgers enthoben, „nichts tun“, während die restliche Bevölkerung für ihren Lebensunterhalt ,,schuften“ muss? Wie ist dies mit der Gleichheit einer modernen demokratischen Gesellschaft zu vereinen?

Dem Argument kann entgegengehalten werden. Zum einen ist das Leben eines Royals wohl ebenso stressig, wenn nicht sogar entbehrungsreicher als das aller „normalen“ Menschen. Beispiel: Der derzeit medial präsente Prince Harry, einer der wenigen Royals, die die „firm“ aktiv verließen, klagt in seinen zahlreichenöffentlichkeitswirksamen Auftritten und seiner Autobiographie über den sogenannten „golden cage“ der Krone: Es sei zwar ein schön anzusehender Käfig, in dem man als Royal stecke, aber eben ein Käfig, aus dem es kaum ein Entkommen gebe. Privatsphäre, Rückzug, Freiheit oder gar Selbstverwirklichungsbestrebungen –Chancen, die der demokratische Staat seinen Bürgern gewährt – stehen den Royals nicht zur Verfügung. Stattdessen seien sie festgehalten in einem Panoptikum der Medien, niemals unbeobachtet und selten unbeschwert. Auch dies ist eine Art der

Aufopferung. Zumal die Öffentlichkeitsarbeit eines jeden Royals viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt.

Zum anderen spielen hier, natürlich, auch die Finanzen eine Rolle. Die besagte Organisation Republic wirft der Krone vor, viel zu viel Geld zu beanspruchen und hart erarbeitete Steuergelder zu verschwenden. Das stimmt nur bedingt. Die Monarchie wird in einem komplizierten Verfahren finanziert, das auf dem sogenannten „Sovereign Grant“ basiert, dessen Wert sich vereinfacht gesagt danach bemisst, wieviel die Krone eingebracht hat. Zwar stiegen die Nettoausgaben der Monarchie zwischen 2014 und 2021 kontinuierlich, von 35.7 auf 87.5 Millionen Pfund. Gleichzeitig generiert die Monarchie auch erhebliche Einkünfte – von Hochzeitsübertragungen im Fernsehen bis zu den Myriaden an Touristen, die es jedes Jahr in die königlichen Anwesen zieht und die während ihrer Aufenthalte im Land deren Infrastrukturen wie Transport, Unterkunft und Bewirtung nutzen. Eine Abschaffung der Monarchie bedeutete in diesem Sinne nicht nur einen gesellschaftlichen, sondern gleichsam einen wirtschaftlichen Knieschuss, dank dessen der Tourismussektor massive Einbußen zu verzeichnen hätte. Demgegenüber beläuft sich das jährliche Aufkommen eines jeden Bürgers für die Finanzierung der Monarchie auf weniger als zwei Pfund (im Jahr 2021) – eine Bilanz, über die man durchaus nachdenken sollte.

Rückwärts vorwärts?

Die Monarchie ist zwar naturgemäß ein wenig egalitäres Konstrukt, übt aber keinen nennenswerten politischen Einfluss mehr aus – das Volk ist zweifelsfrei der eigentliche Souverän in Großbritannien, die Monarchie ein Formalismus. Aber womöglich ist sie ein notwendiger Formalismus in einem Land, das derzeit sehr uneins mit sich selbst zu sein scheint und das in großem Umfang von den Strömungen der Zeit ergriffen wurde. Denn vielleicht ist dies die Chance der Monarchie, sich wiederum neu zu erfinden, sich einer abermaligen Metamorphose zu unterziehen, wie sie es in ihrer wechselhaften Geschichte – ob 1215 (Magna Carta), 1688 (Glorious Revolution) oder auch 1936 (Abdankung Edward VIII) – so oft schon getan hat. Hin zu einem Ruhepol, der das Land vereint, ihm Sicherheit und Stabilität und nicht zuletzt ein mächtiges Narrativ garantiert. Ein Narrativ der Einzigartigkeit und der historischen Größe. Vielleicht ist es eine Chance, mit der alten Monarchie die neue Zeit zu begehen.

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